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    Was ist ein B-52? Richtig, ein Bomber. Aber auch ein Getränk. Ich wusste früher nicht, was ein B-52 war. Dieses Teufelszeug besteht aus 3 Schichten Schnaps, wobei die obere Schicht, meist ein hochprozentiger Strohrum, angezündet wurde. Mit einem Strohhalm sog man dann das lodernde Gesöff in sich rein und erwartete die berauschende Wirkung. Zugegeben, es schmeckt. Ich hatte dieses Getränk im Sommer 1992 kennen gelernt.   Meine 3-jährige Ausbildung zum Krankenpfleger hatte ich vor 3 Monaten Abgeschlossen. Noch während der Lehre hatte ich mit Marco, der ebenfalls wie ich den Beruf eines Krankenpflegers erlernte und den ich schon seit meiner Schulzeit kannte, vereinbart, sollten wir die komplexe Abschlussprüfung bestehen, machen wir eine Rucksacktour durch Osteuropa. Und so erwarben wir uns eine Interrailkarte für damals 500,-DM, mit der man einen Monat jeden Zug in Europa benutzen durfte. Wir fuhren von Berlin ausgehend nach Warschau, Prag, Bratislava, Budapest, Belgrad, Sofia, Istanbul nach Athen. In jeder Stadt verbrachten wir einen Tag zur Besichtigung. Ich tat so, als würde ich kulturell interessiert sein, jedoch war es Marco, der die Stadtbesichtigungen ernst nahm. Mich lockten damals die Ferne, das Gefühl der Freiheit und Unhabhängigkeit sowie das Abenteuer in fremden Ländern. In Bulgarien machten wir noch einen Abstecher ins südlich von Sofia gelegene Rilagebirge. Marco hatte gehört, dass es dort ein sehenswertes, altes Kloster gäbe, wo er unbedingt hin wollte. Mit einem Bauernzug, meiner Empfindung nach 4. Klasse, fuhren wir von Sofia ins ca. 65 km südlich gelegene Dupnitsa. Auch bekannt als Marek Stanke Dimitrov, wo der heimische Fußballclub in der zweiten Runde des UEFA-Cups 1977/78 den FC Bayern München vor 40000 Zuschauern mit 2:0 besiegten und dann in der Säbener Straße zu München mit 3:0 verloren. Die 12000 Zuschauer sahen damals Tore von Rummenigge und Müller. Von Dupnitsa gehen viele Wanderwege aus ins Rilagebirge. Wir einigten uns auf eine Berghütte namens Skakaviza und freuten uns, das es bis dahin nur etwa 6,5 km waren. Ich brauchte beim wandern so meine Zeit zum überlegen, weil auf dem Wanderschild kein km stand, sondern ein verschnörkeltes y-a-c. Meine Schulkenntnisse in russisch waren noch so akzeptabel, das ich das kyrillische Wort als Stunde ins deutsch übersetzte. Stunde. Also noch etwa 6 Stunden bis zur Berghütte. Und das mit ca. 20 Kilo auf dem Rücken. Am späten Abend kamen wir erschöpft an. Ich brauchte einige, 6 Pfennig teuren Bierflaschen, um mich zu akklimatisieren. Wir teilten uns ein einfaches Zimmer mit zwei Franzosen, die ebenfalls mit dem Rucksack unterwegs waren.  Wir sind weitere 3 Tage lang, fern von jeglicher Zivilisation, durch die Wildnis gewandert. Ich kam mir vor wie der alte Mann in den Bergen. Das sagenumwobene Kloster haben wir nie gefunden. Bei der Fahrt von Sofia nach Istanbul genehmigten wir uns, gegen Aufpreis, ein Schlafabteil im Orient-Express. War seit langer Zeit eine bequeme Abwechslung gegenüber Parkbänke und unsicheren Bahnhofshallen. Nach der bislang längsten Zugfahrt von Istanbul nach Athen in 42 Stunden, hatte ich dann endgültig die Schnauze voll von Bahnfahrten und Sightseeing. Erst hatten uns Uniformierte vom Athener Hauptbahnhof Platzverweis gegeben, weil wir versucht hatten, in einer stillen Ecke zu schlafen. Als wir dann einige Zeit später im benachbarten Park wach wurden, transportierten weitere Uniformierte, ein paar Parkbänke weiter, einen Verstorbenen weg. Die Ursache wollte ich gar nicht wissen. Marco und ich diskutierten über den Sinn und Erholungswert dieser Reise und kamen nach langer verbaler Wortfechterei zu einer Lösung. Eine griechische Insel auf den Kykladen sollte es sein, irgendeine. Wir fuhren mit der U-Bahn von Athen zum Hafen von Piräus und waren schon kurze Zeit später auf der Fähre nach Paros. Es war eine traumhafte Insel, der Hafen dort wunderschön, weiße Häuser im mediterranen Stil und engen Gassen mit einladenden Tavernen. Die Sonne brannte am blauen Himmel, weißer Sandstrand und kristallklares Wasser. Ich genoss ein ausgedehntes, erfrischendes Bad im Meer, währenddessen Marco am Strand sein Buch „Nachruf“ von Stefan Heym las. Anschließend mieteten wir uns einen Platz auf den nahegelegenen Zeltplatz und lernten dabei noch flüchtig andere Rucksacktouristen kennen. Nun hatte ich mal das Bedürfnis nach langer Zeit der Abstinenz, wegen fehlender sanitärer Einrichtungen in den letzten Tagen, ein großes Geschäft auf einer ordentlichen Toilette zu verrichten. Marco unterdessen meldete sich in eine nahegelegene Taverne auf ein Glas Wasser ab. Welcher Anblick sich mir dort auf der vermeintlichen Toilette bot, ließ mich kurzzeitig zu einem selbst beigefügtem Darmverschluss überlegen. Zuerst suchte ich vergebens die sonst üblichen Keramikschüsseln, auf der man gemütlich Platz nahm. Stattdessen fand ich in gewissen Abständen und in Reihe, durch die vermoderten Bodenfliesen gebohrten, faustgroße Löcher. Jeweils rechts und links von diesen waren, in etwa Schuhgröße 45, vorgebereitete Fußabdrücke, ähnlich der Roßtrappe im Harz. Davor an der Wand ein Haltegriff aus Chrom. Zur Wahrung der Privatsphäre konnte man noch einen, an der Decke auf Rollen angebrachten Vorhang um sich rumziehen. So stand ich allein im Eingangsbereich mit knurrenden Darmgeräuschen und nahm neben mir noch einen Eimer mit Wasser, einen Stuker und einen so richtig abgenutzten Schrubber wahr. Was gäbe ich jetzt für ein Dixi-Klo, aber nicht auf ner deutschen Autobahn, dachte ich. So nahm ich die Herausforderung an und vollzog in leicht gebückter Haltung, mich am Griff festhaltend sowie Schweißperlen auf der Stirn, den Akt. Nur traf ich das Loch nicht. Da stand ich nun vor meinem üppigen Geschäft und erinnerte mich an den Wassereimer, den Stuker und den so richtig abgenutzten Schrubber. Ich beseitigte meine Spuren so gut ich konnte und freute mich, die nächsten Tage vor dieser Kammer des Schreckens, sicher zu sein. In der Taverne berichtete ich Marco von der Begegnung mit dem Mittelalter. Nur mit seinem breiten Grinsen im Gesicht konnte ich nichts anfangen. Er gab mir zu verstehen, dass man hier als Gast eine saubere, richtige Toilette benutzen durfte, was er auch schon tat. Ich war bedient und bestellte mir ein Bier. Später am Abend gesellten sich noch unsere flüchtigen Bekanntschaften vom Zeltplatz zu uns an den Tisch. Es wurde eine lustige Runde. Bis einer auf die Idee kam, eine Lage B-52 zu bestellen. Ich hatte keine Ahnung was es war und worauf ich mich einließ. Auf einem Tablett brachte uns ein Hellene mehrere, gefüllte, kleine Gläser, gab jedem von uns einen Strohhalm und zündete das Gesöff an. „Yammas“, prostete einer uns zu und trank das bläulich lodernde Etwas per Strohhalm aus. Mir war nicht sehr wohl bei der Sache, denn ich wusste, mein Körper verträgt keine hochprozentigen Getränke. Egal, ich hatte Urlaub, die Stimmung war prächtig und ich wollte kein Außenseiter sein. Also zog ich zaghaft das Getränk per Strohhalm in mich rein. So übel war das gar nicht, dachte ich und setzte das Glas ab. Nun kam es wie es kommen musste und wie ich es mir hätte denken können. Ein jeder war mit einer Runde B-52 dran. Nur Marco war wahrscheinlich gern ein Außenseiter, denn er enthielt sich den Muntermachern. Die berauschende Wirkung kam schleichend, aber dafür umso heftiger. Ich wurde immer ruhiger, hatte arge Schwierigkeiten den inhaltlichen Gesprächen der anderen zu folgen und in meinem Kopf begann es, sich unermüdlich zu drehen. Irgendwie schaffte ich es noch, Marco lallend zu vermitteln, das ich genug hätte und das Bedürfnis verspürte, mich in die Waagerechten zu begeben. Marco verstand meinen Wunsch, zahlte meinen Anteil der Rechnung mit und half mir ins Zelt. Genauere Erinnerungen an das Wie und Wann hatte ich aber nicht mehr. Nur der Kater am nächsten Tag war enorm und abermals versprach ich mir, nie wieder Alkohol zu trinken.
ENDE